Die InnerCity Gallery in Halle präsentiert Streetartkünstler und virtuelle Halluzinationen in Form eines Theaterstückes.
Die Sonne knallt auf die staubigen Straßenbahnschienen, das bröckelnde Haus ist immer noch verhüllt und blockiert die Haltestelle, der Besitzer des Internetcafés hat sich den Fuß gebrochen, weiter unten riecht es nach Räucherstäbchen aus dem Traumfängerladen, vor`m Uschi stehen ein paar Mädels mit knallrot gefärbtem Haar und weiter oben drängeln sich die Bauarbeiter in den Geflügelstadl zur Mittagspause. Alles wie immer in der Geiststraße in Halle (Saale).
Oder doch nicht? Plötzlich strömt frischer Lackgeruch aus einem ehemaligen Ladengeschäft, dessen Fenster mit Brettern blickdicht gemacht wurden. Gegenüber der Format-Videothek und der Thaliapassage stehen einige junge Männer, deren Kapuzenjacken und Chucks mit Farbe betröpfelt sind, aus dem Laden schallen dumpfe Dub-Töne, die Jungs sehen etwas übernächtigt aus und rauchen entspannt vor der Tür.
Innen wird gearbeitet. Sven, Wiebke und die schwarze Hündin Estella betrachten die Vorbereitungen für die morgige Ausstellung. Der morbide Charme des ehemaligen Verkaufsraumes spiegelt sich an der Decke, an manchen Wänden hängen schon kleine Graffiti-Werke, auch die szenetypischen Stencil-Arbeiten (Schablonentechnik, z.B. auf Fliesen) liegen bereit, im hinteren Teil des Raumes sprayen Graffiti-Künstler die Grundform eines Wandbildes, welches zur Ausstellungseröffnung komplettiert sein muss. Der Laden nennt sich jetzt „SONDERPO“.
Am Freitag um 17:00 Uhr sieht der Raum in der Geiststraße 21 wahrscheinlich noch wesentlich bunter aus. Bei der Vernissage möchten die Künstler und Veranstalter die schöne, ausdrucksstarke, lebendige und legale Seite des oft so verachteten Streetart-Styles zeigen. Graffiti ist für die dort vertretenen Sprayer mehr als nur Kunst, oft hängt eine ganze Lebenseinstellung daran, spezielle Kleidung, Musik und Sprache repräsentieren diese Ausdrucksform ebenfalls öffentlich.
Was vor 20 Jahren noch als Subkultur der amerikanischen Metropolen gewertet wurde, hat schon längst den Weg in jede größere deutsche Stadt gefunden und sorgt nach wie vor für Aufsehen – in positivem wie negativem Sinn. Trotzdem sind die Bilder, Tags, Sticker und Stencils nicht mehr aus Halle wegzudenken. Die Streetartkünstler wissen um ihren Ruf bei der verständnislosen konservativeren Bevölkerung, deren Interesse der Bekämpfung der Beschädigung von Eigentum gilt. Auf der anderen Seite schließen sich dieser Ausdrucksform immer mehr junge Künstler an, man kommuniziert sogar miteinander über die öffentlichen Werke an Stromkästen, Hauswänden und Telefonzellen.
Bei der Ausstellung kann und wird man folglich ins Gespräch kommen, was schon fast überfällig ist, wenn man bedenkt, dass beide Seiten oft vorurteilsbehaftet und störrisch ihre Sicht auf diese Kunstart vertreten und generell eine Seite den Kürzeren zieht.
Im Anschluss an die Vernissage wird natürlich auch gefeiert. Ab 22:00 Uhr und für 4 EUR Unkostenbeitrag präsentiert der/die/das „SONDERPO“ B-Boys, MCs und DJs – der musikalische „Old Skool“-Rahmen umfasst also passend das Streetart-Konzept am Freitagabend.
Nur einen Tag später erfüllt die InnerCity Gallery ihre Vorsätze, in Halle einen frei nutzbaren öffentlichen Raum anzubieten, um kleineren Kunstprojekten oder sonstigen künstlerisch Ambitionierten die Möglichkeit zu geben, sich zu präsentieren. Am Samstagabend wird das Theaterstück „Styx“ im „SONDERPO“ aufgeführt. Wobei man eher von einer Theaterinstallation sprechen muss. „Styx“ bedeutet ursprünglich in der griechischen Mythologie „Fluss zur Unterwelt“ und dieser fließt auf kleinem Spielraum mit großer Wirkung.
Da treffen sich 2 Menschen im Internet und freunden sich virtuell an. Es kommt schnell zu Sympathien, persönliche Daten und private Gedanken werden ausgetauscht. Doch plötzlich reißt der Kontakt ab. „i.love“ ist nicht mehr erreichbar und „nightstar“ hängt verzweifelt tagelang vor seinem Monitor. Er projiziert seine Wünsche und sein menschliches Verlangen nach Nähe und Wärme in diese ungreifbare digitale Welt, die nur aus Nullen und Einsen besteht und trotzdem Momente von Wohlbefinden hervorrufen kann – wenn das Gegenüber „online“ wäre. Der einsame „nightstar“ stürzt in einen Strudel aus virtuellen Halluzinationen.
„Styx“ untersucht die Nutzung des Internets als Kommunikationshilfe aber auch der Ersatz für einen lebendigen Partner und die Grundangst vor Einsamkeit wird hier thematisiert. Und das Publikum wird zur Öffentlichkeit, zum 3000sten Klick auf dem Webprofil des Users. Wer drückt „Enter“? Wer schließt das Fenster? Wie sehr verändern die Tastenkombinationen das menschliche Bauchgefühl?
text:halleforum
Dienstag, 3. Juni 2008
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